Am frühen Nachmittag komme ich mit meiner Freundin Alex von einer kurzen Wanderung aufs Hörnle zurück. Einer der Hausberge der Ammergauer Alpen. Das Gipfelplateau wird von der Sonne angestrahlt und glücklich etwas für mich getan zu haben blicke ich zurück. „Wenn wir beide unterwegs sind, komme ich so viel klarer und sortierter zurück.“, sagt sie freudig und gelöst. Und ich antworte „Ja klar bei so viel frischer Luft und der Natur als Co-Coach.“ Das macht sie stutzig: „Wie meinst du das die Natur als Co-Coach?“
Schon vor ein paar Jahren, habe ich mich intensiv mit den Effekten der Natur und der Bewegung an der frischen Luft und im Wald auseinandergesetzt. Dabei habe viele interessante Quellen und berichte gefunden. Unter anderem war das auch von je her ein Puzzleteil, weshalb ich mich mit genau diesem eigenen Coaching Format beim Wandern selbstständig gemacht habe.
Tauchen wir also ein in die Welt der unbewussten, aber doch spürbaren Effekte der Natur. Was passiert also bei diesen Wanderungen, bei denen ich mit meinen Klient:innen über ihre Themen spreche und wir sie sortieren? Was trägt die Natur tatsächlich dazu bei?
Die Natur als Co-Coach
Die Natur und die Weite der Landschaft wirkt beruhigend. Sie fördert ein Gefühl von Freiheit, was den Stress wiederum verringert. Zugleich fördert der Aufenthalt im Freien und die Bewegung in der Natur kreatives Denken. Neue Perspektiven können entstehen, die in einem traditionellen Setting oft schwerer zu erreichen sind. Anders als die Starre von Sitzpositionen und die räumliche Begrenzung im klassischen Coaching, fördern Naturerlebnisse die Verbindung zu sich selbst, der eigenen Gefühlswelt und anderen Lebensformen. (COLEMAN 2013, S.17) Man fühlt sich auf eine Weise verbunden, präsent, gut und erfrischt. (TROMMER 1997, S. 105f). Genau das hilft Achtsamkeit im Alltag zu kultivieren und sein Bewusstsein für sich selbst und sein Handeln zu schärfen. Denn man ist mit allen 5 Sinnen beim Wandercoaching dabei.
Wandercoaching mit allen Sinnen
Wir nutzen beim Wandercoaching ganz besonders unsere visuellen Fähigkeiten. So haben wir das Gefühl, wir müssen nur den Wald ansehen und wir werden schon ruhiger. Tatsächlich hat der Anblick des Waldes den Effekt, dass der Blutdruck sinkt, der Puls sich verlangsamt und die Konzentration des Stresshormons Cortisol abnimmt. Das haben die Mediziner Lee und Park bei Probanden in mehreren Feldstudien in japanischen Wäldern messen können. Waldbaden (Shinrin-yoku) nennen die Japaner das Eintauchen in den Wald, das eine der beliebtesten Therapieformen für verschiedene Erkrankungen in Japan ist. Die Wirkung von Waldbaden ist komplex und besteht aus allen Elementen, die mit den Sinnen erfasst werden können, so Park. Zu diesen Sinneswahrnehmungen gehören auch die pflanzlichen Duftstoffe, mit denen Pflanzen untereinander und mit Tieren kommunizieren. Zu den Duftstoffen oder Terpenen gehören mehrere tausend Stoffe. Ein sehr wirkungsvolles Terpen ist Geosine, das z.B. vor allem im feuchten Waldboden wahrzunehmen ist und wir es als den typisch wohltuenden Waldduft wahrnehmen. Bäume kommunizieren unteranderem mittels Terpenen, um nützliche Insekten auf Schädlingsbefall aufmerksam zu machen oder um andere Bäume zu warnen, ihre Immunmechanismen hochzufahren, wenn „Fressfeinde“ in ihrer Umgebung sind. Somit können auch wir Menschen unbewusst von der Wirkung von Naturduftstoffen profitieren. So wirken unterschiedliche Terpene zum Teil anregend oder gar entspannend. Sie beeinflussen damit unseren mentalen Zustand positiv (Ochiai 2015) und das trägt unter anderem dazu bei, sich den eigenen Themen und seinem Reflexionsprozess zu öffnen.
Die Natur als Immunbooster
Zudem stärkt ein Aufenthalt in der Natur bzw. in einem Mischwald das Immunsystem und schützt sogar vor Krebs, das hat Professor Qing Li, von der Universität Tokio mit seinem Team herausgefunden. So werden durch Waldspaziergänge die Produktion der sogenannten Killerzellen angeregt und diese wiederum unterstützen den Körper im Kampf gegen Krebszellen. Schon nach einem Tag im Wald war die Anzahl der Killerzellen im Blut der Studienteilnehmer um 40 Prozent gestiegen und das Team von Quing Li konnte nachweisen, dass der Spiegel der Killerzellen noch sieben Tage nach dem Waldaufenthalt deutlich erhöht war. In einem Büroraum hingegen können nur wenig negativ aufgeladene Atome sogenannte negativ Ione ihre Wirkung entfalten. So sind es in einem Kubikmeter Büro nur rund 70 Negativ-Ione und im Wald mit 2.500 Ionen deutlich mehr.
Körperliche Bewegung mit einem guten Gefühl
Dass auch das Wandern selbst also die Bewegung an sich viele positive Effekte auf das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit hat, zeigt die Studie der Uni Halle Wittenberg umfangreich auf (Hottenrott 2012). Die Sportwissenschaft beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den physiologischen Effekten von regelmäßiger Bewegung auf den Körper. So wird grundsätzlich bei aktiver Bewegung die Durchblutung angeregt, das Herzkreislaufsystem gestärkt und damit der Blutdruck gesenkt. Durch die Low-Impact Belastung beim Gehen und die verschiedenen Bodenbeschaffenheiten werden Knochen, Bänder und Sehnen gestärkt. Auch die Rumpfmuskulatur wird aktiviert und damit die Körperhaltung verbessert (Morris 1997). Was ich auch immer wieder nach den Wandercoachings selbst als Beobachterin feststellen kann. Regelmäßige Wanderungen auf unwegsamen Geländen steigern zudem die Koordination und die Ausdauerfähigkeit (Wanderverband e.V. 2025).
unterwegs mit einem professionellen Sparringspartner
Die gleichmäßig langsame Bewegung beim Wandern schärft die Wahrnehmung für die gegenwärtige Befindlichkeit. Dies führt oft zu neuen Einsichten und eigenen authentischen Lösungen. Die partnerschaftliche vorwärts gerichtete Bewegung „Schulter an Schulter“ fördert die Kommunikation und den Austausch persönlicher Erfahrungen mit seinem Coach. Die Klienten steigen schnell mit dem Coach in ihren Reflektionsprozess ein, unter anderem durch den ungezwungenen Augenkontakt. Dies erleichtert es tiefer in seine Gefühlswelt und Verhaltensmuster einzutauchen. Perspektiven von „außen“ bzw. Metaperspektiven können so eingenommen werden. Der Coach wird während des Wandercoachings als Begleiter und wohlwollender Sparringspartner wahrgenommen. Die Bereitschaft sich voll und ganz auf den Veränderungsprozess einzulassen ist dadurch größer und damit nachhaltiger.
Wandercoaching als Ganzheitlicher Ansatz
Wandercoaching verbindet körperliche Bewegung mit mentaler Reflexion, was eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung im Coachingsprozess unterstützt. Körper und Geist sind in Bewegung, diese Methodik ist besonders effektiv, um Blockaden zu lösen und neue Lösungswege zu finden. Damit werden eigene Ressourcen noch bewusster und können somit wieder aktiv zum Einsatz gebracht werden. Unterstützend wirken auch metaphorische und imaginative Coachingmethoden, um die Stimmungslage im Ziel zu erkunden und später seinen individuellen Weg gestärkt gehen zu können. Wandercoachings werden bei professionellen Coaches grundsätzliche an die körperlichen Fähigkeiten der Klienten angepasst, so dass eine individuelle Betreuung ermöglicht wird und sich die Klienten voll und ganz auf ihr Thema fokussieren können. Mehr dazu im Artikel „Wandercoaching - das Outdoorformat zur Persönlichkeitsentwicklung“
Langfristige Effekte von Wandercoaching
Wie Goethe schon sagte, „Was ich nicht erlernt habe, das habe ich erwandert.“ (Goethe, 1749 – 1832)
Viele Klient:innen berichten von langfristigen positiven Veränderungen, wie mehr Selbstvertrauen, höhere Zufriedenheit und bessere soziale Beziehungen nach einem Wandercoachingprozess. Der nachhaltige Effekt von Wandercoachings wird zudem von den einzelnen Erlebnissen und zusätzlichen Fotoankern unterstützt. So kann man sich mithilfe der Aufzeichnungen, der Fotos und der Erfahrungen gut an die besprochenen Themen und Lösungsansätze zurückerinnern, um seinen Veränderungsprozess aufrecht zu erhalten.
Lass mich zusammenfassend sagen, dass Wandercoaching durch die einzigartige Kombination aus Naturerfahrung, Bewegung und gezielten Coaching-Techniken eine effektive Alternative zu traditionellen Settings darstellt. Es fördert nicht nur das Bewusstsein für sich in und mit der Natur, sondern verbessert Dank der Natur als Co-Coach auch das allgemeine Gesundheits- und Wohlbefinden der Teilnehmenden.
Literaturhinweise
Trommer, G. (1997): Über Naturbildung – Natur als Bildungsaufgabe. In TROMMER, GERHARD & REIMUND NOACK: Die Natur in der Umweltbildung. Perspektiven für Großschutzgebiete. Deutscher Studienverlag. Weinheim.
Kaplan, R., & Kaplan (1989): The Experience of Nature: A Psychological Perspective. New York: Cambridge University Press.
Coleman, M.(2013): Die Weisheit der Wildnis: Selbsterkenntnis durch Achtsamkeit in der Natur. Arbor Verlag. Freiburg.
Ochiai, H.; Ikei, H.; Song, C. Physiological and Psychological Effects of a Forest Therapy Program on Middle-Aged Females. International Journal of Environmental Research and Public Health, USA, 2015, 12, 15222–15232
Park, B.J.; Tsunetsugu, Y; Kasetani, T.; Kagawa, T.; Miyazaki, Y.; The physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the forest atmosphere or forest bathing): evidence from f ield experiments in 24 forests across Japan. Environmental Health Prevention Medicine, 2010, 15, 18–26.
Hanski I. et al. (2012): “Environmental biodiversity, human microbiota, and allergy are interrelated.” Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 109(21), 8334–8339.
Hottenrott, K., Lösche, A., Radetzki, M., Schulze, S. (2012): Studie zur Evaluation des Gesundheitswanderkurses des Deutschen Wanderverbands, Luther Universität Halle Wittenberg
Wanderverband e.V. Zugriff am 09.01.2025: https://www.wanderverband.de/wandern/gesundheitswandern/wandern-und-gesundheit
Morris, J.M. et. al. 1997: „Walking to health“: London School of Hygiene and Tropical Medicine, Loughborough University, UK
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